Briefe an Charley by Pehnt Annette

Briefe an Charley by Pehnt Annette

Autor:Pehnt, Annette [Pehnt, Annette]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492972383
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00


22. Januar

REDSELIGKEIT. […] Zeitweilig wird, durch eine winzige Verletzung, in meinem Kopf ein wahres Sprachfieber ausgelöst, findet ein ganzer Aufmarsch von Gründen, Interpretationen, Ansprachen statt.

RB

Was ich meine, CHARLEY, und gar nicht genug betonen kann, CHARLEY, ist, dass mein Leben nicht brachgelegen hat. Ich habe eine Tochter, CHARLEY (Tusch!), das ist mehr, als ich jemals gehofft habe, nur bist du nicht der Vater. Es ging eben weiter nach dem Abschied am Bahnhof.

Aufräumen, das Strandgut wegräumen (nicht wegwerfen), arbeiten, get over it, mit Männern in Ecken stehen, nicht mit CHARLEY herumliegen, Fundstücke gleich wegschmeißen. Arbeiten. Fast anrufen. Freundinnen treffen, die gibt es auch, ich vergesse sie zu oft, ich habe sie noch gar nicht erwähnt. Sie vermissten CHARLEY, CHARLEY mit seinem Haushalt und den schmalen Ohren unter den langen Haaren, die er allen lieh, auch ihnen.

Und der hat dich stehen lassen? Und was sagt er dazu? Nichts?

Sie ermunterten mich zur Wut, zum Aufräumen und Umräumen, sie schickten mich nach Irland und ins Programmkino, sie kannten Männer, die ich kennen sollte.

Ich solle ruhig auch traurig sein. Und ich müsse nichts weiter erklären. Aber schade sei es ja doch, dass der CHARLEY einfach auf und davon sei, er sei eigentlich nicht so einer, oder? Er komme vielleicht sogar zurück. Das sei vielleicht das letzte Aufbäumen vor der Entscheidung. Mit dem Entscheiden sei es ja wohl so eine Sache bei CHARLEY.

Ich fing sofort an, dich zu verteidigen. Ja, und das sei ja gerade gewollt, wir hätten beide nicht an Ja oder Nein geglaubt, und er habe noch etwas weniger daran geglaubt, und es sei uns nicht gemäß, uns festzuhalten und in ein Ja zu zwingen.

Aber dass ich jetzt allein sei, das sei uns gemäß, oder wie? Ob das nicht doch sehr kindlich sei, ein Leben ohne Festlegung, jeden Tag ein Feuerwerk? Auf die Dauer gebe das einen großen Haufen Asche.

Asche auf mein Haupt. Männer mit nach Hause, mit Männern in Zelten, bei Tagungen, auf Dachböden und in Hängematten, irgendwann die Tochter im Bauch und der Gedanke: diese Trommel von Bauch, die würde CHARLEY gefallen, diese straff gezurrte Haut, darunter die Wölbungen des Kindes, und es würde mir gefallen, wenn sie ihm gefallen würde, aber er wird sie nicht sehen und die Tochter nicht sehen, die ja auch nicht ihm gehört, sie gehört niemandem, und so habe ich mir das nicht vorgestellt.

Einen Namen für die Tochter suchen (wie ungeheuerlich, einen Namen für jemanden wählen, der ihr dann ein Leben lang Korsett, Krücke oder Flügel sein wird), sie nachts herumtragen, sie in den Armen halten, ihre Lippen an der Brust, die Angst, sie im Schlaf zu ersticken. Die dumpfe Müdigkeit der ersten Jahre, der Schreck, als sie mir aus den Händen rutscht und auf den Fliesenboden fällt, der Schreck, als sie ein Karottenstück verschluckt und nicht mehr aufhört zu husten. Die maßlose Freude, als sie zum ersten Mal drei Schritte auf mich zutorkelt, ein Wort sagt, ein Gesicht malt (ein winziges zittriges Oval in einem Gewitter von dunkelblauem und braunem Kritzelkratzel). Ratlos über den Matheaufgaben. Liebe Freundinnen



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